Sprache lernen
Der erste Blick mutet wie der in einer Dorfschule in den 1920er Jahren an. Verschiedene Altersstufen wurden in einer Klasse unterrichtet. Hier im Gemeinderaum von St. Antonius war dieser Altersunterschied der „Schüler“ besonders krass. Er reichte vom Vorschüler bis zum Endfünfziger. Doch das war schon alles, was an eine Dorfschule der frühen Weimarer Republik erinnert. Denn statt Schiefertafel mit Kreide und Schwämmchen, statt Federkiel mit Tintenfass standen in St. Antonius Flipchart, Beamer mit Laptop bereit, der Unterricht wurde unterstützt von Video-/Audio-Files, PDF-Präsentationen und die „Schüler“ kamen ausnahmslos mit großem Interesse. Sprachunterricht. Ulrike Lynn hatte diesen liebevoll vorbereitet. In der ihr eigenen ansteckend frohen und engagierten Art vermittelte sie nicht nur Sprache sondern lebte in Gestik und Mimik ihre Absicht, den von Putin vertriebenen Ukrainern, das Zurechtfinden im Dschungel der Artikel, Präpositionen, Konjunktionen usw. zu erleichtern. Doch langsam: Begonnen wurde erstmal mit dem Alphabet und einfachen Begrüßungen. Wann reicht ein „Hallo“? Wann ist das formale „Guten Tag!“ angebrachter? Am Freitag, dem 10. Juni 2022 war es eine erste Stunde, gleichzeitig der Sprung ins kalte Wasser. Zweisprachige Plakate hatten eingeladen. Wer kommt, wie viele das Angebot nutzen wollten oder ob sie nach der ersten Stunde weiter Interesse haben: das alles konnte Ulrike Lynn nicht wissen. Schließlich kamen 12 „Sprachschüler“ (alle Kinder mitgezählt). Schnell wurde klar, diese 12 kamen mit Interesse, mit Fragen und dem Wunsch, immer wieder kommen zu wollen. Die geplante Dreiviertelstunde reichte nicht. Am Ende des Tages waren es zwei Stunden Deutschunterricht. Ulrike Lynn war nach dem Unterricht begeistert von der Gruppe. Auf jeden konnte sie gut eingehen und das fachliche Ziel der Stunde wurde mehr als übererfüllt. Nächsten Freitag (17. Juni) wird es eine weitere offene Stunde geben. Danach möchte Ulrike, wie sie sagte: „Meter machen“, also mit der Gruppe Schritt für Schritt durch den Dschungel gehen, aus dem Dickicht (Sprach)-Wege ebnen und natürlich das Niveau immer weiter anheben. Hildegard wird diesen Dschungel nicht betreten. Sie (Ulrikes Schweizer Sennenhund und treuer Begleiter) lag mit halboffenen Augen ganz entspannt zwischen Leinwand und Flipchart, so als gingen sie die (Sprach)-Probleme der Menschen gar nichts an. „Ich bekomme auch so, was ich will!“, wird sie sich gedacht haben und zack, waren ihre Hundeaugen wieder geschlossen.
Text und Fotos: Henning Leisterer