„Nichts kennzeichnet diesen stillen, in seiner Holzbildhauer-Werkstatt unermüdlich seinem Berufe dienenden, heimattreuen Menschen mehr, als die von ihm vertretene Meinung, dass er die Figurenschnitzerei nur aus Liebhaberei betreibe, weil es bei geschäftsmäßigem Betriebe bald mit der Liebe vorbei sei.“
Bescheiden, heimatverbunden und liebevoll. Man kann es nachempfinden, wenn man auf einem späteren Foto sieht, wie Bochmann mit seinen Enkeln während der Feirabendarbeit schnitzt.
Beim Betrachten des Korpus Christi kann man diese Liebe zum Detail gut erkennen, auch die Parallelen zum Isenheimer Altar des Matthias (Mathis) Grünewald. Die Christusplastik wurde am 21. Dezember 1934 (also 8 Wochen nach der Kirchweih) im Altarraum der Kirche angebracht. Das Bild zeigt den Korpus, noch in der Werkstatt des Künstlers.
Annaberg‑Buchholz, Olbernhau und Frankenberg waren erste Stationen des Heimatkünstlers. Nach Beendigung der Volksschule 1892 ging Bochmann bei Friedrich Herrmann nach Buchholz in die Lehre, drei Jahre lang. In Möbelfabriken verbrachte er seine Gesellenzeit. 1897 volontierte Max Bochmann in der Firma Bruno Spieß Chemnitz, erhielt eine Ausbildung als Modelleur und Gipsbildhauer. (Die 1934 geschaffene Marienstatue mit Jesuskind in St. Antonius zeugt von Bochmanns Fähigkeiten im Umgang mit Gips, die er sich bei Bruno Spieß angeeignet hatte.) Bis 1912 blieb der junge Holzbildhauer in der Werkstatt dieser Firma, Aufträge führten ihn sogar nach Mecklenburg, zum Schweriner Schloss. Zu gerne hätte Bochmann die Kunstgewerbeschule besucht – ein Wunsch war es, der sich leider nicht erfüllte. Beim akademischen Bildhauer Bruno Ziegler, ließ er sich ab 1912 in figürlichen Arbeiten ausbilden, konnte wieder als Holzbildhauer arbeiten – seinem geliebten Beruf. Einen großen Erfolg erlebte Bochmann 1913 in Dresden. Im Rahmen eines Wettbewerbes für Krippenfiguren verdiente sich der Chemnitzer zwei zweite Preise. Seine preisgekrönten Arbeiten brachte er nicht wieder nach Chemnitz zurück, das Dresdner Volkskunstmuseum behielt sie sofort. Selbst Prinz Johann Georg von Sachsen kaufte bei Bochmann Figuren. Bruno Ziegler riet seinem talentierten Angestellten, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen. 1920 richtete sich Max Bochmann im Hinterhof der Regensburger Straße 60 eine Werkstatt ein, seine Arbeitsstätte, die 35 Jahre lang Mittelpunkt seines Lebens und Schaffens werden sollte.
In ihr entstand auch 1934 die Marienstatue. Mit liebevoll‑innigem Blick sieht die Gottesmutter auf das Jesuskind. Maria und Jesus haben ihren Platz im Altarraum seit dem Bestehen der Kirche. Elly‑Viola Nahmmacher, die 1976 im Zuge der Kirchenerneuerung den Altarraum neu gestaltete, war der Ansicht, dass Bochmanns Maria mit dem Jesuskind stilistisch nicht zu ihren Kunstwerken passe und regte an, eine von ihr geformte neue Marienfigur in das Gesamtkunstwerk Altarraum einzufügen. Dazu jedoch kam es nicht, Nahmmachers Vorhaben misslang wohl auch an der zurückhaltenden Reaktion der Gemeinde.
Max Bochmann hatte in seiner Werkstatt immer etwas zu tun, konnte von seiner Kunst den Lebensunterhalt bestreiten. Mit der Anfertigung von Modellen bekannter Chemnitzer Bauwerke, die von bewährten Baumeistern, Architekten unter anderem auch über das Stadtbauamt Chemnitz an ihn in Auftrag gegeben wurden, schaffte sich Bochmann ein zweites (wirtschaftliches) Standbein. Namen wie Basarke, Bartning, Feistel, Wagner-Poltrock wären als Auftraggeber zu erwähnen. Das Modell des von Stadtbaurat Fred Otto im Bauhausstil entworfenen Stadtbades entstand in Bochmanns Werkstatt. Und auch für St. Antonius fertigte der Künstler ein Modell. Aus einer Auflistung seiner Einnahmen geht hervor, dass Bochmann am 8. September 1930 das Modell „Kath. Gemeinde Altchemnitz 1:500“ in Rechnung stellte. Die Arbeit erhielt der damalige Seelsorger Schlosskaplan Dr. Hieronymus Spettmann. Leider ist nicht bekannt, wie das Modell aussah, auch nicht, ob es noch existiert oder verloren ging. Den Verlust eines zur Stadt gehörenden Gesamtkunstwerkes erlitt Chemnitz in der Bombennacht am 5. März 1945. Dank einer Stiftung erhielt Chemnitz 1937 im alten Rathausturm ein figürliches Glockenspiel. Bochmann schnitzte hierfür nach Entwürfen von Ziegler vier 1,35 Meter große Figuren und ein 2,50 Quadratmeter großes Rahmenwerk. Doch leider konnten sich die Chemnitzer nur wenige Jahre an den Figuren erfreuen, bis zur schlimmen März‑Bombennacht. Während das Rahmenwerk des Glockenspiels zerstört wurde, konnten die Figuren erhalten werden – bis auf den heutigen Tag. Sie befinden sich jetzt im Schlossbergmuseum. Zum Glück sind noch einige Ornamente am und im Neuen Rathaus erhalten, auch Arbeiten an Tür und Eingangsbereich des Standesamtes – Arbeiten aus der Werkstatt des Meisters.
Zwei Jahre nach Kriegsende bekam St. Antonius ein weiteres Glanzstück aus der Werkstatt des Heimatkünstlers – eine Pieta. Annelies Mack, damals Seelsorgshelferin in St. Antonius, bemalte die Maria-Jesus-Figur dezent, im Jahre 1947.
Die Inschrift auf der Rückseite der Madonna erklärt uns die Figur und deren Geschichte:
„Verkleinertes Nachbild des Gnadenbildes v. Maria-Telgte b. Münster (Westf.) Ein Stück Heimat in die Diaspora übertragen u. gestiftet vom Erbauer dieser Kirche Pfarrer Bernh. Toddenroth“
Bis zur Renovierung im Jahre 1976 hatte die Pieta einen festen Platz in der Antonius‑Kirche, danach verschwand sie. Aufbewahrt wird sie zur Zeit in einem Schrank. Zu hoffen bleibt, dass diese schöne Plastik eines Tages ihren Platz in der Antonius-Kirche finden wird.
Immer wieder in Erstaunen wird der Betrachter versetzt, wenn er die Feinheiten der Figuren erlebt. Alles ist liebevoll ausgearbeitet. Sie sind mehr als „nur“ Holzarbeiten, beginnen doch die Arbeiten zu leben.
Der sensible Betrachter kann die Schmerzen des Gekreuzigten förmlich spüren:
„Und in der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: ... Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Markus 15, 34
Oder Johannes der Täufer: Sein Gesicht ist besorgt, sein Blick klar auf den Messias gerichtet:
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe.“ – Matthäus 3,2
Später wird er den Pharisäern und Sadduzäern sagen:
„Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen“ – Matthäus 3,11
Das alles könnte man in dem weisen, klaren Gesicht des Johannes erkennen, den Max Bochmann aus einem Stück Holz zum Leben erweckt hat. In diesem Zusammenhang sei der Betrachter ermutigt, die Bochmannschen Figuren längere Zeit auf sich wirken zu lassen. Ist Interpretieren der abstrakten Sakralkunst einer Elly‑Viola Nahmmacher notwendig, um sie zu verstehen, neigt man sicherlich bei den schönen, sich selbsterklärenden Figuren des Max Bochmann dazu, sie sich anzusehen, zu erkennen, um welchen Heiligen es sich handelt, um dann seinen Blick weiterzurichten. Doch ein Sicheinlassen auf diese Figuren, das genaue Studieren der Gesichtszüge, vielleicht im Kontext mit der Heiligen Schrift bereichert die Innenwelt des Betrachters bestimmt.
So entdeckt man in dem leicht gesenkten, einladenden Blick des Papst Pius X. fast etwas väterliches. Er verteilt den Leib Christi, das Blut Christi nicht einfach an den Kirchenbesucher, nein er verschenkt diesen. Wenn man nun mit dem Wissen, an die Plastik herantritt, dass dieser Papst die sehr strengen Vorschriften des Kommunionempfanges gelockert hat (besonders für Kinder und Kranke), ja dazu ermunterte, öfter zu kommunizieren, erkennt man in Pius X. den Menschen Giuseppe Sarto, wie der Papst mit bürgerlichem Namen hieß, sieht den einfachen Priester, der ein Sakrament spendet, so wie tausende Geistliche es täglich tun – andächtig, ehrfurchtsvoll, in Sorge um die einem anvertrauten Menschen. Pius Blick ist gütig, seine Gesichtszüge sind liebenswürdig.
Und nun erblickt man nicht nur das Können des Bildhauers, sondern den Menschen Bochmann, denn das, was aus einem Stück Holz entstehen kann, prägt der Künstler – es sind dessen Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Ansichten die seinen Werken Leben schenken. In dem anfangs schon zitierten historischen Text erfährt man über Bochmann und seine Techniken:
„Das Gefühl für Schönheit des Werkstoffes ist ihm als Sohn eines Tischlers mit anerzogen, es kommt darin zum Ausdruck, dass er das Holz leicht farbig lasiert und wachst und nicht mit Deckfarbe verschmiert.“
Das in diesem Zusammenhang uns die Pius‑Skulptur eine mit weißer Deckfarbe hervorgehobene Hostie zeigt, ist sicher nicht von Bochmann gewollt. Es existieren alte Fotos, auf denen Pius mit unbemalter Abendmahlsgabe zu sehen ist. Wohl hat es in den vergangenen Jahren jemand etwas zu gut gemeint mit der Hervorhebung der Hostie. Keinesfalls sollte man seinen Blick auf das nachträglich Hervorgehobene verengen.
Die eben beschriebenen Plastiken Plus X. und Johannes fertigte der Bildhauer im Jahre 1934 für unsere Gemeinde. Seit dieser Zeit haben sie einen festen Platz im Altarraum der Kirche.
Max Bochmann zählt sicher zu den Menschen, denen man mehr Aufmerksamkeit entgegenbringen sollte. Er hat der Stadt und verschiedenen Kirchgemeinden schöne, wertvolle Arbeiten hinterlassen, wobei der Künstler immer im Hintergrund seiner Werke stand, als ein bescheidener, ausgeglichener Christ. Schon 1935 bringt ein Verfasser dies auf den Punkt und schildert:
„Der Künstler ist in Chemnitz, der Stadt seines Schaffens nur einem verhältnismäßig kleinem Kreise von Liebhabern heimatverbundener Schnitzkunst bekannt. Dafür erfreuen die köstlichen Figuren seiner Weihnachtskrippen viele Menschen in West‑ und Süddeutschland, in Ostpreußen und anderen Teilen des Reiches, die immer und immer wieder Ergänzungsgruppen zum bereits vorhandenen Besitz erbitten.“
Weiter heißt es in diesem Text:
„Umso mehr haben wir Chemnitzer die Pflicht, unserem Bochmann auch in seinem Erzgebirge ... und insbesondere in unserer Stadt die Würdigung zuteil werden zu lassen, die er verdient.“
Das Grab Bochmanns schmückt ein Holzkreuz, dass er sich selbst geschnitzt hat. Die Hinterhof‑Werkstatt wurde nach der Wende abgerissen, im Zuge der Sanierung des Hauses. Was bleibt sind die Figuren, die den Weg aus der Werkstatt in die Herzen der Menschen gefunden haben und dort unsterblich sind.