Den künstlerischen Spagat zwischen vorhandenen alten, detailgenauen Altarraumfiguren und Interpretationen Raum gebenden Holzkunstwerken wagte Elly-Viola Nahmmacher in St. Antonius. Ihr gelang es, den natürlichen Gegensatz zwischen klassisch-traditionell, fast mittelalterlich anmutenden Figuren und neuen, unkonventionellen Formen zu überwinden – im Altarraum dieser Kirche. Das große Christuskreuz ist ein gutes Beispiel für dieses Gelingen. Neben dem Korpus von Bildhauer Max Bochmann fertigte Elly-Viola Nahmmacher „ein großes Kiefernholzkreuz mit nuancierten Astformen, die Blüten oder Wunden darstellen könnten. Die Synthese zwischen dem neuen Kreuz und den mittelalterlich geformten Plastiken darf als besonders gelungen angesehen werden, da gerade zu diesem Problem erhebliche Einwände bestanden"., wie die Künstlerin erklärt.
In ihren schriftlichen Ausführungen über die Altarraumgestaltung ermunterte die Künstlerin den Betrachter, seinen eigenen Interpretationen Raum zu geben. Dadurch soll der Deutende den hektischen Alltag draußen vor den Kirchentüren lassen, zur Ruhe kommen, meditierend in Gottes Gegenwart sein – um dann gestärkt seinen Geschäften wieder nachgehen zu können.
Entsprechend knapp skizziert die Greizerin den Altar. Es „sind Formen aus felsigem Gestein entnommen, die den harten, unzerstörbaren Ewigkeitscharakter der sich am Altar immer wieder vollziehenden Fleischwerdung andeutet.“
Ein feinsinniger Mittelpunkt des Altarraumes ist der Tabernakel. Es lohnt sich gewiss, diesen Aufbewahrungsort konsekrierter Hostien nicht nur verwundert oder gleichgültig, schlimmstenfalls abgeneigt als den in der katholischen Kirche notwendigen Gebrauchsgegenstand zu akzeptieren, sondern sich mit seinen so ausgiebigen Bildern und Symbolen zu befassen. Frau Nahmmacher hilft dabei mit interessanten Hintergrundinformationen: Der Tabernakelunterbau „stammt aus einer 3 Meter starken Linde aus dem ehemals Greizer fürstlichen Park, wo diese alten Bäume in großer Stille gewachsen sind und so eine besondere Voraussetzung bilden vom Standort her."
Schon bei der Auswahl der Materialien überlässt die Künstlerin nichts dem Zufall. Sie nimmt die Linde. Einen Baum also von ca. 40 Meter Höhe, der zum Teil bis 1000 Jahre alt werden kann, der (Not)-Zeiten, Regierungen, Kriege, Umbrüche überdauert hat, deren Äste Knospen, Blüten, Blätter, Schnee getragen haben, Jahr für Jahr beständig, alles überdauernd - so wie auch das eucharistische Brot, der Leib des Herrn Fels in der Brandung des Lebens ist.
Hände tragen aus diesem festen Grund heraus das „Allerheiligste, gehalten von Menschen, die um das Christusgeschehen wissen.", schreibt Nahmmacher.
Flammen steigen am Mittelteil des Tabernakels, dem den Schrein umhüllenden Teil auf. Elly-Viola Nahmmacher verband dieses Lodern mit dem brennenden Dornbusch im Buch Exodus:
„Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er (Mose) schaute hin. Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht? Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Der Herr sagte, komm nicht näher heran! Lege deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden" (Ex 3, 2-5). So bittet uns das Symbol der Flammen am Tabernakel um Ehrfurcht vor dem in der geweihten Hostie gegenwärtigen Herrn. So wie Mose im brennenden Dornbusch den Herrn erkannt hat, erkennen wir Gott im Empfang der Kommunion.
„Gott aber sagte: Ich bin mit dir, ich habe dich gesandt." (Ex 3, 12)
Besonders auffällig gestaltete Nahmmacher die sieben kostbar gefassten Edelglasbrocken am Tabernakelschrein, wo ihren Ausführungen nach „edel bestenfalls im Sinne unserer heutigen Zeit mit anders gearteten Wertigkeitsbegriffen zu verstehen ist. Wurde in früheren Zeiten für den Kirchenraum nur das aus der Natur Entnommene für „edel" erachtet, hat sich dieser alte ästhetische Begriff gewandelt, in dem wir in der Lage sind, synthetisch gleiche ja schönere Dinge erzeugen zu können." In der folgenden weiteren Beschreibung liefert uns die Greizerin unter anderem einen Hinweis auf das Handwerkliche. „Hier bei der Stele würde man an die sieben Gaben des heiligen Geistes im Mittelteil denken. Deshalb wurde die Hauptansicht mit den von links unten nach rechts oben ansteigenden Glasbrocken besonders gewichtig behandelt, indem sie bei 1200 Grad eingeschweißt wurde."
Die biblische Zahl sieben zieht sich durch die gesamte Tabernakelgestaltung. Im oberen Teil der Stele schwingt sich eine Form entgegen, „einem Engel gleich oder einem kosmischen Saiteninstrumentes, wobei die Durchbrüche Saiten assoziieren könnten, die in einer großen Spirale ausklingen, einer Spirale, die Symbol allen Lebens bedeutet.“ Die Spirale, so die Künstlerin, als „bekrönende Engelform, endet im oberen Teil in Sternenformen, denen die sieben kleinen blauen Farbglasbrocken eine Antwort geben in der Siebenzahl der auf dem Mittelteil des Tabernakelschreines angebrachten großen kostbar gefassten Edelglasbrocken.Aus der Zahlensymbolik ist die Sieben von großer Bedeutung und zieht sich durch die ganze Schrift hindurch, bis zur Apokalypse, wo Christus die sieben Sterne in seiner Hand hält, damalige Bedeutung, dass er die Welt in seiner Macht hält."
Elly-Viola Nahmmacher ermuntert zu eigenen meditativen Gedankengängen. So ist es nur konsequent, dass die im Jahre 2000 in Krombach bei Weimar verstorbene Künstlerin keinerlei Erklärungen zu Unterbau der Marienstatue und Ambo hinterlassen hat. Bekannt ist, dass Frau Nahmmacher für spätere Zeiten die Anfertigung eines Osterleuchters und einer Marienplastik geplant hatte, „da letztere aus bemaltem Gips nicht zu der neuen Gestaltung passt."
Der Osterkerzenständer schmückt den Altarraum; zur neuen Marienstatue ist es nicht gekommen. Man kann nun verschiedener Ansicht sein, ob die Marienplastik aus den Anfangszeiten der Kirche stammend, stilistisch auf den mit einer Schlange versehenen Unterbau passt oder nicht.
Jedoch ist es interessant, anhand alter und neuer Kunstgegenstände eine Entwicklung des Sakralbaus zu erkennen. Denn so, wie sich die Katholische Kirche verändert hat (II. Vatikan. Konzil) und trotzdem noch von ihren Wurzeln zehrt (Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen! – Mt. 16, 18) hat auch die Gemeinde St. Antonius „ihren Weg gefunden", sich gewandelt, haben sich die Zeiten und Menschen verändert, eingebettet jedoch in einer Generationen übergreifenden Beständigkeit. Die neue, 2001 angeschaffte elektronische Orgel auf der Empore spielt die gleichen alten Choräle, wie ihre Vorgängerin; die 1934 in Bochum gegossenen Stahlglocken läuten nach wie vor die traditionelle Heilige Messe, aber auch den mit Band modern gestalteten Familiengottesdienst ein.