Schweinegrippe zum 1. Mai
Ich habe immer noch die gute alte Mai-Nelke fürs Knopfloch, die früher getragen wurde, als man lustige Fähnchen schwenkend an Tribünen vorbeimarschierte, die mit verdienten und verdienteren SED-Genossen besetzt waren, deren demografische Konstellationen schon etwas Richtung Endstadium gingen. Noch heute kann ich mir meine psychischen Aussetzer nicht erklären, die ich beim lustvollen Winken gehabt haben musste, so als sähe ich dort keine alten Männer in grauen Anzügen, sondern weibliche Abgesandte des Fernsehballetts aus dem Friedrichstadt-Palast in bunter Arbeitskleidung. Kampf- und Feiertag der Werktätigen hieß das Dilemma. An Kampfszenen kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Doch die gab es wohl manchmal im westlichen Teil unseres schönen Landes, wo unser patriotischer Doppelnamen-Feiertag schlicht und banal Maifeiertag hieß. Diese begriffliche Harmlosigkeit konnte die Kreuzberger Polizei sicher nicht nachvollziehen, wenn sie sich am 1. Mai mit Alkohol-Fahnenbesitzern herumkloppen musste, oder auch auf der Startbahn West in Frankfurt. Auf dieser Piste kann man sich heute keine blutigen Nasen mehr holen, sondern Flugzeuge starten sehen. Achtung, jetzt kommt die beste Überleitung, die mir jemals eingefallen ist: So wie sich heute Flugzeuge in die Luft erheben, wurde der Kampf- und Feiertag der Werktätigen letztes Jahr religiös besetzt: mit Christi Himmelfahrt. 2008 dachte ich, warum spielen wir den 1. Mai 2009 nicht mal in der Kirche durch? Ich setze mich auf die Empore und lasse all die innerkirchlichen Werktätigen an mir vorbei ziehen: also, den Pfarrer, seine Sekretärin, Kantor, Küster, Hausmeister und natürlich unseren polnischen Priester. Es ist ja ein internationaler Feiertag. Sie könnten Spruchbänder hochhalten mit den schönen Worten: „Alles für das Wohl des Anton und die Sicherung des Friedensgrußes!" Ist das nicht ein Bekenntnis? Doch vielleicht werden die Vorbeiziehenden sich an ihre gewonnene Meinungsfreiheit erinnern und mich mit dem Weihwasserwedel von der Empore wegspritzen wollen. Ach hatte es Erich damals einfach! Ihm haben die Leute zugejubelt, als säße neben ihm nicht Margot mit den lila Haaren, sondern Carla Bruni mit den langen Beinen.
Aber es gibt immer irgendwo auf der Welt Schweine, die einem die schönsten Ideen vermiesen. Anstatt uns einfach ihr Fleisch zu überlassen, so wie sie es als Nutztier tun sollten, stehen sie nun in einer gewissen Protesthaltung im Stall und demonstrieren Macht. „Wenn ihr schon unser Fleisch haben wollt, müsst ihr auch unsere Grippe nehmen, die wir euch zusammengemischt haben!" Virologisch geschickt passten sie ihre Influenza dem Menschen an. Nun können sie ganz zurückgelehnt beobachten, wie der Homo sapiens sich mit der Schweinegrippe selber das Leben schwer macht. Flugzeuge aus Mexiko werden am Airport mit dem Fieberthermometer erwartet und selbst in der Kathedrale von Mexiko-City fiel wegen der Grippe mit dem einfallslosen wissenschaftlichen Namen „A/H1N1" die Heilige Messe aus. Gut, Virologen müssen keine Poeten sein! Aber leere Kirchen, das haben nicht mal die Kommunisten geschafft! So eine Schweinerei! Ich kann es mir nun abschminken, mich am Kampf- und Feiertag der Werktätigen von der arbeitenden Bevölkerung in St. Antonius huldigen zu lassen. Die Kirche wird leer bleiben, auch wenn die Schweinegrippe noch kein gravierendes deutsches Problem ist. Doch als Vorwand, um meine Ehrung ins Leere laufen zu lassen, kann man sie ja schon mal im Geiste importieren. Na schönen Dank auch! Ach Erich, hattest du schöne Zeiten, damals!