Personalisiertes Ostern
Als moderne Menschen kennen wir alle die personalisierte Werbung. Es ist Reklame, die total auf die Vorlieben der einzelnen Kunden abgestimmt ist. Das erlebte Horst zum Beispiel, als er für seine liebe Schwiegermutter etwas über den Online-Versandhandel bestellen musste, denn Oma hat zwar eine Wäscheleine, ist aber ansonsten offline. Oma hatte sich sooo sehr die Salzburger Traviata auf DVD gewünscht, also die Inszenierung, in der Netrebko mit der großen Uhr kämpfte. Kaum hatte Horst die DVD bestellt, bekam er eine E-Mail mit dem freundlichen Hinweis, dass er ja auch Rigoletto kaufen könnte, also die Oper, wo Gilda nach dem Messerstich zwar keine Schmerzen, aber den Wunsch verspürte, vor dem Tod (mit blutender Wunde) noch knappe 10 Minuten zu singen. Das ist personalisierte Werbung. Nun ist Horst plötzlich Opernfreund und kann sich vor E-Mails kaum retten: La Boheme, La forza del destino, Il Trovatore, Carmen, Madame Butterfly, Tosca, Turandot, Roméo et Juliette, Tristan und Isolde, Samson et Dalia und so weiter. Dafür könnte er seine Schwiegermutter … Thema Kreuzigung: Am Karfreitag ging Horst mit Frau und Kind in die Kreuzwegandacht. Schon nach 10 Minuten musste das Kind weinen - nein nicht, weil (um es in kindlicher Sprache zu formulieren), der böse Judas den lieben Jesus verpetzt hat; nein, er weinte, weil ihm es langweilig wurde. Also ging Mutti mit ihm auf die Wiese vor der Kirche und versteckte bunte Ostereier für Horst Junior. Personalisiertes Ostern. Am Karsamstag gab es noch Beichtgelegenheit. Ich war der Einzige, der vor dem Beichtstuhl stand. Viele leierten lieber im Chor das „Ich habe gesündigt, mit Gedanken, Worten und Werken, durch meine Schuld …" usw. herunter und gingen dann. Personalisierte Beichte wurde also nicht so der ganz große Knaller. Die Osternacht war für 20.00 Uhr terminiert. Och nee, schimpfte Herbert: Das passt mir ja gar nicht. Dann verpasse ich doch die Tagesschau. Hedwig dagegen würde die Osternacht am liebsten Samstagvormittag feiern. Da fahren wenigstens noch genug Straßenbahnen. Die Straßenbahn kommt 9.36 Uhr an die Haltestelle, so dass Hedwig um 9.47 Uhr in der Kirche sein und die Osternacht dann ohne Verzögerung beginnen könnte. Personalisiertes Ostern. Doch weder Herbert, noch Hedwig konnten sich durchsetzen. Diesen Zustand definieren meine Freunde aus der Vereinigung „Wir sind Kirche" sicher als Beweis, wie lebensfern und rücksichtslos doch die katholische Kirche ist. Na egal. Die Osternacht begann mit Kerzen. Ich will jetzt nicht über die Energiewende philosophieren, auch nicht darüber, dass wir (wenns dumm kommt) eventuell Atomstrom aus Temelin importieren werden müssen, aus Reaktoren russischen Designs. In der dunklen, kerzenbeleuchteten Kirche gingen mir die Gedanken über die Energiesicherheit nicht aus dem Kopf. Warum scheint die Sonne nicht nachts? Langsam bekam ich Angst. Hätte man die Osternacht vielleicht doch lieber am Vormittag um 9.47 Uhr beginnen sollen, gemeinsam mit Hedwig, wenn es hell ist? Meine Freunde aus „Wir sind Kirche" würden jetzt triumphierend antworten: „Das hat die Kirche nun davon, wenn sie sich so über die Wünsche der Gläubigen hinweg setzt!" Doch plötzlich ging das Licht in der Kirche an und alle sangen: „Halleluja!" Jetzt ist bestimmt allen ein Stein vom Herzen gefallen. Wir haben wieder Strom! Georg in der 5. Reihe sang lustlos das Lied „Wir wollen alle fröhlich sein, in dieser österlichen Zeit" und dachte sich so: Eigentlich haben wir das Lied „O du fröhliche" lange nicht mehr gesungen. Ob er sich das beim Kantor mal wünschen darf? Personalisiertes Ostern. Nun war Jesus liturgisch auferstanden, genau um 21.14 Uhr. Marie in Zschopau, meine liebe Marie in Zschopau, musste eine Stunde länger auf dieses Ereignis warten. Personalisiertes Ostern. Doch irgendwann ist dann Jesus für alle auferstanden, so ganz ohne Personalisierung. Und Horsts Schwiegermutter hat sich zu Ostern das neueste Buch vom Dalai Lama gewünscht. Horst bestellte es wieder online und freute sich schon darauf, dass er bei den Mitarbeitern des Online-Versandhandels nun nicht mehr nur als Opernfreund gebrandmarkt wird. Endlich kam er aus dieser für ihn peinlichen Nische heraus und bestellte (nach dem Motto: „Viel hilft viel") alle Bücher von und über den Dalai Lama, die es gibt … zur Freude der Schwiegermutter. Die nächste E-Mail haute ihn dann allerdings fast vom Sessel. Im personalisierten Angebot, nach der technischen Analyse der Begriffe Dalai und Lama minus der bereits gekauften Bücher, gab es als Empfehlung nun Bücher über das Lama (Tier aus der Gruppe der Neuweltkamele). Ob man beim Kauf des Gotteslobes - der Käufer ist also Christ und muss mit religiösen Bücherhinweisen überschüttet werden - ob man also als Gotteslobkäufer nun auch Luthers Kleinen und Großen Katechismus angeboten bekommt, hat Horst lieber nicht ausprobiert.