Das erste Jahr mit Marie
Wo wir uns geküsst haben, wann es richtig Krach gab, wie wir unsere schmutzige Wäsche waschen, ob wir schon mal gemeinsam in der Kirche waren und wer bei uns die Hosen an hat, über alles wollte ich hier schreiben. Ja: alles, alles wollte ich im Internet offen legen, so wie Facebook oder Google es gerne hätten. Wir beide sind katholisch, also nicht griechisch-orthodox. Nun wird vielen Steuerzahlern ein Stein vom Herzen fallen. Da wir keine Griechen sind, müssen wir auch nicht gerettet werden! Leider sagen Experten, dass Italien auch vor dem Abgrund steht. Autsch! Sollte ich da wirklich Römisch-katholisch bleiben?
Altkatholisch wäre eine Variante. Doch will ich wirklich immer an mein Alter erinnert werden, wenn ich auf der Steuerkarte meine Konfession „ALTkatholisch" lese? Römisch-katholisch zu sein, ist doch schon Schicksalsschlag genug, sollte man den Medien glauben: denn ich gehöre einer Kirche mit völlig überholten Wertevorstellungen an, die außerdem als intolerant wahrgenommen wird. Gehen Sie doch mal mit einem Schachbrett in den Skatverein und verlangen von allen, ab sofort Schach zu spielen. Mal sehen, wie tolerant Sie da behandelt werden. Vielleicht ist dieses Wohlwollen seitens der Skatspieler vergleichbar mit dem einiger grüner und linker Abgeordneter, das sie dem Papst bei seiner Bundestagsrede entgegengebracht haben. Dann können Sie (um bei unserem Beispiel zu bleiben) noch froh sein, wenn die Skatspieler Sie nicht gleich vor die Tür setzen, sondern selber den Raum verlassen, so wie es die Linken und Grünen vor der Papstrede im Bundestag gemacht haben. Ja, das erste Jahr mit Marie wurde von so vielen schlimmen Dingen überschattet: Fukushima, Guttenberg-Rücktritt und Euro-Krise. Wir müssen den Euro retten, koste es, was es wolle. Oder wollen wir als Kollekte Naturalien sammeln: Äpfel, Möhren, Schnittlauch? Die Pfarrsekretärin würde sicher schreien vor Glück. Sauerkraut wäre mein Favorit. Einfach drei Löffel Sauerkraut in den Klingelbeutel geben, denn sauer macht lustig und doppelt sauer … arme Pfarrsekretärin! Also, helft uns den Euro zu retten, damit nicht die Pfarrsekretärin im Büro mit ihrem Apfel-Möhren-Sauerkraut-Matsch verzweifelt. Die Eurokrise hat alles in den Schatten gestellt. Plötzlich bestimmen „Rate-Agenturen" (auf Englisch: „Rating-Agenturen") über unser wirtschaftliches Schicksal, nicht mehr die Politiker. Die Agentur-„Experten" geben einfach eine Presse-Erklärung heraus, in der sie sagen: „Leider, leider könnte neben Griechenland und Italien auch Frankreich in Zukunft gravierende Liquiditätsprobleme bekommen und ob Deutschland seinen Tripple-A-Status halten kann, ist nicht sicher." Gut geraten: hätte, könnte, wäre … Bums und schon stürzen die Aktien wieder ab, der Euro kollabiert und unsere Pfarrsekretärin muss in der Zeit, wo sie früher Kollekte gezählt hat, Möhren essen. Aber wir haben doch Politiker gewählt, die über unser wirtschaftliches Schicksal bestimmen sollen und keine „Rate-Agenturen-Kaffeesatz-Leser"! Noch viel schlimmer als die Euro-Krise war die Verlegung der Gottesdienstzeiten um 30 Minuten. Wenn unserer CDU-FDP-Koalition eine derart unpopuläre Idee eingefallen wäre, dann hätte die Piratenpartei sicher 80 Prozent aller
CDU-Wählerstimmen bekommen. Wie kann man nur die Gottesdienstzeiten ändern: erst komplett auf 9.00 Uhr (Ausschlafen war gestern!) und (als Kompromiss) seit Oktober alle 14 Tage zurück auf 9.30 Uhr! (Ausschlafen wieder begrenzt möglich!). Da sieht doch keiner mehr durch, trotz Handzettel und Internet. Plötzlich muss man auf einen Zettel sehen, so, als würde man mit dem Bus in den Urlaub fahren wollen und vor dem Fahrplan stehen. Wie furchtbar. Und wenn man sich dann mal verlesen hat und schon um 9.00 Uhr vor der Kirchentür steht? Selbst das Herumstehen und Frieren vor der verschlossenen Kirche wird einem nicht gegönnt! An der Bushaltestelle hätte man es gedurft! Schlimmer noch, man wird in einem warmen Raum kostenlos mit Kaffee abgespeist. Selbst das Sich-Aufregen und Herumschimpfen wird einem durch diese Kostenlos-Kaffee-Aktionen vergrault! Nein schlimmer geht es wirklich nicht! So eine Zumutung! Und wenn der Gottesdienstzeiten-Zettel mal verloren geht? Dann bürdet einem das Internet die Last auf, im WWW nachsehen zu müssen, wann man in die Kirche muss. Wieder geht wertvolle Zeit vom Online-Shopping und Hobby-googeln verloren, bloß wegen der Kirche. Eigentlich müsste, wenn man schon in die Kirche muss, wenigstens der Webmaster jeden Freitag in alle Haushalte des Pfarreigebietes kommen (wenn sie es wünschen … man will ja keinem zur Last fallen), den privaten Computer einschalten, eine Internetverbindung herstellen, dann die relevante Gottesdienstzeiten-Seite aufrufen und alle Zeiten laut vorlesen; am besten den Leuten noch seitenverkehrt auf die Stirn schreiben, damit die es früh vor dem Spiegel lesen können. (Bloß nicht auf einen Zettel schreiben, der könnte verloren gehen, lieber die Stirn nehmen, die ist angewachsen!) Leider hat der Webmaster für dieses Minimum an Servicedenken keine Zeit, ebenso wenig, wie die Busunternehmen, um beim Beispiel Fahrplan zu bleiben. Was ist dagegen eine Euro-Krise? Gar nichts! O, nun ist mein Bericht über das erste Jahr mit Marie etwas zu kurz gekommen. Aber wenn man neben der Euro-Krise eine „Verschiebe-Gottesdienstzeiten-Krise mit Kaffee" hat, dann muss der normale Ehe-Alltag diesen wichtigen, existenziellen Problemen (Existiere ich zur richtigen Zeit in meiner Kirchenbank?) geopfert werden. Sorry, liebe Marie!